Quartiersphilosophie

Ein wesentlicher Fortschritt der Pflegewissenschaft und Pflegepolitik liegt darin, dass man heute zunehmend von der Einzelfallbetrachtung (dem einzelnen Pflegebedürftigen) zu einer quartiersbezogenen Betrachtung übergeht und ein Wohnquartier als solches pflegebedarfsgerecht zu entwickeln versucht, um einladende Unterstützungsangebote auf kurzem Wege vorhalten zu können.

In bewusster Abgrenzung von den Pflegeheimen, die am anderen Ende einer singulären, auf den einzelnen Haushalt bezogenen „ambulanten“ Betrachtungsweise stehen, nimmt das Quartier in gewisser Weise eine mittlere Stellung zwischen "Häuslichkeit" und Pflegeheim ein.

Das Pflegeheim ist auch deshalb in die Kritik gekommen, weil es für viele, wie ein Gefängnis, eine zwar effektive und für Angehörige entlastende, aber eben bei nicht immer guter Qualität der Versorgung eine teure Versorgungsform darstellt.

Zumindest Letzteres ist falsch: Eine möglichst große Anzahl von Pflegebedürftigen auf kleinem Raum mit kurzen Wegen in einer Institution zu versorgen, in der alles Erforderliche konzentriert vorgehalten wird, kann günstiger nicht sein.

Die Annahme, dass das Heim teurer als eine ambulante Versorgung sei, übersieht geflissentlich, dass ein Großteil der hier anfallenden Kosten auf die Privaten (Pflegebedürftigen, pflegende Angehörige) abgewälzt wird, ohne dass dies jemals beziffert worden wäre.

Die Akzeptanz von Quartierskonzepten wird sich, der schönen Idee zum Trotze, u.a. auch danach richten, ob und ggf. welche Entlastung sie für Betroffene tatsächlich mit sich bringen.

Dies umso mehr, als die derzeitige Realisierung von Wohnquartieren in Vierteln stattfinden muss, die für solche Zwecke ursprünglich gar nicht gebaut worden sind. Das hat zu Folge, dass die Entwicklungskonzepte sich am bestehenden Wohnbestand orientieren müssen, der für eine Versorgung nicht in jedem Fall geeignet ist.

In Kauf genommen muss beispielsweise werden, dass die Verhältnisse in manchen Wohnungen niederschmetternd sind. Auch ist unbekannt, ob diejenigen, die unter solchen Verhältnissen leben, tatsächlich im Alter in ihrer Wohnung bleiben wollen (man fragt ja immer nur die Rüstigen und noch Mobilen, für die die Pflege noch in weiter Ferne liegt).

Wie würde man aber ein Viertel baulich und organisatorisch strukturieren müssen, dass die Vorteile einer dezentralen, auf den einzelnen Haushalt bezogenen Organisation mit den Vorteilen zentraler Organisationsformen, wie sie Pflegeheime darstellen, verbinden würde?

Darüber ist noch zu wenig nachgedacht worden.

Eine These könnte lauten, dass vom Heimkonzept auch für die Quartiersentwicklung mehr gelernt werden kann, als es der Grundsatz "Ambulant vor Stationär" vermuten lässt. 

Die Aufgabe wäre es, die Vorzüge des Heims, „Rationalität“, bei Vermeidung der ihm nachgesagten Schwächen, mit den Vorteilen einer ambulanten, in der Häuslichkeit, ermöglichten Versorgung zu verknüpfen, wobei auch deren Mängel (u.a. ungeeignete Wohnverhältnisse) zu vermeiden sind.

 

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